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Natalia Lazarewa
Dreimaliger Ruf "Kölle Alaaf" am 11. im 11. ab 11:11 Uhr in Köln [1] - 02.02.2025
Mein täglicher Weg aus Krefeld, wo ich zur Zeit wohne, nach Köln, wo die Redaktion der "Kölnische Rundschau" sich befindet, dauert ca 40 Minuten. Wie gewöhnlich, gibt es nicht viele Fahrgäste im Zug. Einige lesen Zeitungen, andere unterhalten sich leise oder gucken aus dem Fenster in die grünen deutschen Landschaften.Aber gestern am 11.11 waren meine Weggefährten Piraten, Prinzessinnen, Hexen, Tiger und andere sonderbare Geschöpfe. Sie tranken Sekt und Limonade, sangen, machten Witze und amüsierten sich laut. An einer Haltstelle öffneten sich die Türen des Wagens aus und ein Pinguinschwarm strömte hinein. Der Schaffner hat einigen von ihnen den Mangel an Fahrkarten sogar verziehen.
Nein, das war kein Traum. Kölner, Kölnerinnen und Stadtgäste hatten bloß vor den Beginn der Karnevalssession 2009/2010 zu gefeiert.
Am 11. im 11. ab 11:11 Uhr pünktlich wurde die Session in den Altstadt mit einem dreifachen "Kölle Alaaf" (Karnevalbegrüßung in Köln) eröffnet. "11" ist eine Jeckenzahl, sie ist von vorne und von hinten gleich lesbar. Diesjähriges Motto war "In Kölle jebützt" ("in Köln geküsst" auf Kölsch, rheinischen Regionaldialekt). Und trotz schrecklicher Nachrichtenmeldungen über die Schweinegrippe, folgte das Karnevalpublikum dem Motto nach. Am Altermarkt vor dem Kölner Rathaus gab es karnevalistische Reden, musikalische Vorträge und Party bis zum Abend. Wie gewöhnlich feiern die Menschen bei jedem Wetter und abends in den Kneipen weiter.
Einmal im Leben Karnevalpräsident sein? Einfach! In Gürzenich, dem traditionellem Bürgerhaus Kölns, können alle Besucher für kurze Zeit die Präsidentkette aus Plastikgemüse anlegen. Für die richtige Stimmung sorgen ab 11:11 bis 18:00 berühmte deutsche Musikanten. Ihre Lieder brachten die über 2000 Jecken zum Schenkeln. Was hat mich überrascht, war die Menge älterer Menschen, verkleidet als Narren und Clowns, haben sie mitgesungen lauter als Jungtiere.
Karneval gilt als 5. Jahreszeit in Rheinland, und erst recht in Köln. Der 11. November ist bloß der Anfang. Danach bis Januar ist von diesem Narrenfest nicht mehr viel zu hören oder zu sehen, aber dann geht es los. Das vom Festkomitee ausgewählte Kölner Dreigestirn wird in der Prinzenproklamation im Kölner Gürzenich vom Oberbürgermeister inthronisiert. Das Dreigestirn, bestehend aus 3 Männern, der Jungfrau, dem Bauern und dem Prinzen, lebt dann bis zum Aschermittwoch im Dorinthotel. Von dort aus besucht es mit seiner Prinzenequipe viele Sitzungen, macht Besuche karitativer Art und ist bei vielen offiziellen und inoffiziellen Veranstaltungen präsent.
Am Donnerstag vor Aschermittwoch (dieses Jahr, 11. Februar) ist Weiberfastnacht. Ab diesem Tag laufen viele Kostümierte durch die Stadt. Auf zahlreichen öffentlichen Plätzen, im Zentrum und in den Vororten gibt es karnevalistische Veranstaltungen.
Am Rosenmontag, Höhepunkt der Karnevalszeit, ist für fast alle in Köln ein Feiertag, an dem der viele Kilometer lange Karnevalsumzug durch die Stadt zieht. Das Wurfmaterial "Kamelle", "Strüßjer" (Bonbons und Blumensträußchen) und Pralinen muss jeder Zugteilnehmer selbst bezahlen. Am Karnevalsdienstag finden noch in vielen Stadtteilen Umzüge statt. Abends trifft man sich in den zahlreichen Kneipen zur "Nubbelverbrennung", d.h. eine Stoffpuppe, die während der Karnevalszeit außen an den Kneipen hing, wird in einem Feuer verbrannt und somit der Karneval beerdigt. Das Dreigestirn gibt an diesem Abend seine Insignien zurück. Am Aschermittwoch ist der Karneval eigentlich vorbei.
Die Rückfahrt war leider nicht so spannend wie der Hinweg. Statt eines Doppeldeckwagens kam der Zug mit einem Stock, und das ganze Gedränge musste sich hineinpressen, und ich habe mich an zwei Engel gedrückt wiedergefunden.
Einige Auszüge aus der jahrhundertealten Geschichte des Kölner Karnevals:
Die römische Kolonie Colonia Claudia Ara Agrippinensium war als die Hauptstadt der Provinz Niedergermaniens weltoffen. Als Kolonie hatte Köln das Recht, die gleichen Feste zu feiern wie Rom. Dazu gehörte unter anderem das bedeutende Fest der Saturnalien, das vom 17.. - 19. Dezember gefeiert wurde. Die Arbeit in der ganzen Stadt ruhte und die Schulen blieben geschlossen. Männer und Frauen, Herren und Sklaven tauschten die Kleidung. Die freien Bürger bewirteten an diesen Tagen die Sklaven. Die streng geübte Hierarchie wurde ins Gegenteil gekehrt. Das Fest der Saturnalien, stark mit dem ägyptischen Isiskult verbunden, war eine Art Karneval (carne vale = Fleisch lebe wohl!) der antiken Welt und wurde noch bis ins 4. Jahrhundert gefeiert. Durch griechischen Einfluss wurde aus dem Fest allerdings mehr und mehr ein Karnevalstreiben. Unter Kaiser Konstantin wurde das Christentum (343) zur Staatsreligion ernannt. Von da ab vermischten sich allmählich heidnische und christliche Bräuche miteinander.
Im Mittelalter versuchte die Kirche diese alten Bräuche zu verdrängen. Köln war schließlich Bischofssitz, und die Kirche hatte einen starken Einfluss auf das Leben in der Stadt. Das Fest wurde sogar wiederholt verboten. Das Motiv für das Verbot war weniger eine gesunkene Moral, als das Streben nach Sicherheit. Aber Karneval wurde doch wild und fröhlich gefeiert.
Karneval war eine Ironisierung staatlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse. So war es im Mittelalter üblich, dass im Dom und in den Stiftskirchen von der niederen Geistlichkeit ein "Narrenpapst" oder "Narrenbischof" gewählt wurde. Man ließ ihn auf einem Esel in die Kirche reiten. Es sollte die scherzhafte Umkehrung der strengen kirchlichen Hierarchie sein. Hier sind Verbindungen zu den römischen Saturnalien erkennbar, wo freie Bürger und Sklaven die Rollen tauschten. Mit Tanzen und Spielen zogen die "Gesellenbanden" auf öffentliche Plätze, vor Gasthäuser und vor den Häusern der reichen Bürger auf und boten in Liedern und satirischen Szenen Begebenheiten aus ihrem Berufsleben dar. Als Dank wurden sie bewirtet.
1736 gab es in Köln die erste Redoute in einem Adelshaus "Kölner Gürzenich" feierte man Masken- und Kostümbälle, die zunächst dem Adel und dem reichen Bürgertum vorbehalten waren.
1794 wurde Köln unter französische Herrschaft gestellt. Obwohl die Franzosen versicherten, nichts an den Gesetzen und Gebräuchen des Landes zu ändern, wurden Kirchen und Klöster aufgelöst und der Karneval verboten. Aber der Karneval verlagerte sich vielmehr, und als die Franzosen sich dann allmählich von der Harmlosigkeit des Festes überzeugt hatten, hoben sie das Karnevalsverbot 1801 wieder auf.
1815 kamen die Preußen nach Köln. Köln wurde wieder eine deutsche Stadt und von den Rheinlanden annektiert. Der Karneval wurde neu organisiert. Das war die Geburtsstunde des Festordnenden Comités und die Erneuerung des Karnevals in romantischem Sinne. Die Gründer des Comités waren alle noch dem reichsstädtischen Köln und dem Kaiser verbunden, und so stand der Held Karneval plötzlich im Gewand des Kaisers vor seinen Mitbürgern.
Bilder: Thilo Schmülgen
Kölnische Rundschau
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