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Es wird zu wenig Wert auf praktische Kommunikation gelegt [0] - 05.07.2025

Zur DAAD-Lektorin:

Doris Dold, Hochschullehrerin und DAAD-Lektorin aus Kiel, unterrichtet zur Zeit an der Staatsuniversität Uljanowsk Deutsch. Sie ist Spezialistin in Slawistik, beherrscht Russisch, Polnisch, sowie Englisch und Französisch. Kennt sich im Bereich der west- und osteuropäischen Kulturen aus, hat einen Zusatzstudiengang DaF (Deutsch als Fremdsprache) absolviert, was sie jetzt dazu qualifiziert, für die Ausländer Deutsch zu unterrichten.

 

Gaudeamus: Seit wann bestehen die Beziehungen zwischen DAAD und Russland? Welche Aufgaben erfüllt diese Organisation in unserem Land?

Doris: DAAD ist seit 1993 in Russland tätig, 1993 wurde die Außenstelle in Moskau gegründet, und im Moment sind in Russland etwa 40 DAAD-Lektoren, in einigen Städten wie z. B. Moskau oder Sankt Petersburg gibt es mehrere Lektorate, und in den meisten kleineren Städten, weiter draußen , wie Omsk, Tomsk, Nowosibirsk gibt es jeweils nur ein Lektorat.

DAAD arbeitet nicht nur in Russland, sondern weltweit. Wir sind im Moment in 127 Staaten mit etwa 400 unseren Lektoren vertreten, und wir beschäftigen uns mit dem wissenschaftlichen Austausch zwischen deutschen und ausländischen Universitäten, d. h. DAAD fördert den Austausch von Studenten und Wissenschaftlern. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem auf dem Austausch von jungen Wissenschaftlern, also von Leuten, die jetzt im Rahmen des Bologna-Umbauprozesses Bachelor gemacht haben und ins Ausland gehen wollen, um dort einen Magisterkurs zu belegen. Relativ viel tun wir auf dem Bereich Austausch von Aspiranten. DAAD unterstützt auch bestehende Kontakte. Konkret gibt es viele russische Wissenschaftler, die mit deutschen Partnern zusammenarbeiten, aber ihnen fehlt an finanzielle Unterstützung. Das sind die Sachen, die DAAD unterstützen kann.

G: Worauf ist Ihre persönliche Tätigkeit hier in Uljanowsk gezielt?

Doris: Ich gebe den deutschen Unterricht hier und mache Reklame für den DAAD.

 

G: Was können Sie jetzt über die russischen Studenten sagen?

Doris: Die russischen Studenten sind insofern anders als die deutschen, manchmal habe ich das Gefühl, sie wissen nicht, dass sie freiwillig sind. Ich meine, russische Studenten gehen zur Uni, genauso wie sie früher zur Schule gegangen sind. Sie empfinden es als eine von außen aufgezwungene Pflicht.

Ich z. B empfang mein Studium in Deutschland auch als Pflicht, ich fühlte mich verpflichtet, zur Uni zu gehen, aber dabei wusste ich immer, dass ich das Fach mir selber ausgesucht habe. Und alles, womit ich an der Universität beschäftigt war, machte ich in erster Linie für mich selbst.

Die russischen Studenten denken aber, Sie würden dem Lehrer einen Gefallen tun, wenn sie etwas lernen. Natürlich ist es für einen guten Lehrer wichtig, wenn der Student etwas lernt. Aber im Grunde genommen, für den Lehrer ist letzen Endes vollkommen egal, ob die Lernenden etwas lernen oder nicht. Der Schüler, der nichts lernt, schadet nicht dem Lehrer, sondern sich selbst. Und ich habe das Gefühl, den russischen Studenten ist es gar nicht bewusst. Persönlich für mich ist es ungewohnt, dass ich mich immer bei den Studenten aufdrängen muss, damit sie die Aufgaben machen oder zum Unterricht kommen.


G: Welche Schwierigkeiten entstehen bei Ihnen beim Unterricht?

Doris: Als ich zum ersten Mal hier vor meiner Gruppe gestanden hatte, ergriff den Lesesaal ein großes Schweigen. Die Studenten guckten mich an mit großen erschrocken Augen, sie hatten Angst, Deutsch zu sprechen. Es liegt vielleicht daran, dass ich Muttersprachler bin, und ich höre alles, was sie falsch machen. Aber in vier-fünf Wochen haben sich die Studenten an mich gewöhnt und allmählich wird es besser.
 

G: Doris, das Erlernen der deutschen Sprache ist in unserem Land schon längst zu einer Tradition geworden. Und auf welche Weise wird das Deutschlernen vom DAAD unterstützt?

Doris: In erster Linie, durch das Lektorenprogramm, das dafür sorgt, dass die deutschen Muttersprachler an russischen Universitäten unterrichten. Daneben gibt es noch das Sprachassistentenprogramm, sowie verschiedene Programme für die Studenten, wie Hochschulsommerkursen in Deutschland, Semesterstipendien, Forschungsstipendien etc.
 

G: Wie weit ist die DAAD-Tätigkeit in der russischen Provinz vorangegangen?

Doris: Wir sind jetzt in den meisten russischen Universitäten stets vertreten, auch in solchen, die weit draußen sind, wie in Uljanowsk, und wir versuchen auch, im Umland auszustrahlen. Also, ich denke, dass wir in der Fläche des Landes wirklich gut vertreten sind.


G: Wie schätzen Sie jetzt das russische Bildungssystem ein? Unterscheidet es sich stark von dem in Deutschland?

Doris: Mir fällt auf, dass das russische Hochschulbildungssystem stärker der Schule ähnelt, als das System in Deutschland. Hier bekommen die Studenten am Anfang des Studienjahres ihren fertigen Stundenplan, ohne selbst die Disziplinen auszuwählen, und dann müssen sie nur den Unterricht besuchen.

In Deutschland sind die Studenten viel selbstständiger, sie suchen sich die Fächer selber aus. Was ihnen nicht imponiert, können sie nicht ablegen. Die Motivation der Studenten ist dadurch etwas höher und das Studium macht mehr Spass.

Was ich am russischen System gut finde, ist, dass der Student, unabhängig davon, was er studiert, eine Fremdsprache belegen muss. Im Grundsatz finde ich das richtig, denn bei uns, wenn man Philologie nicht studiert, kann man nach der Schule Fremdsprachen freiwillig pflegen oder sie einfach vergessen. Ich denke aber, man muss mindestens eine Fremdsprache können, das ist wichtig für den beruflichen Erfolg und es macht das Leben interessanter und reicher.


G: Und woran mangelt es in den russischen Hochschuleinrichtungen in der Provinz? Im Vergleich zu Moskau, Sankt Petersburg oder anderen Großstädten?

Doris: Objektiv kann ich das nicht einschätzen. Ich war in den Universitäten der Großstädte bis heute nur zu Gast. Ich habe aber gar keinen Eindruck, dass die russischen Hochschulen in der Provinz eine mangelhafte Einrichtung sind. Hier wird eine gute Arbeit geleistet. Das Einzige, was mir leid tut (aber das bezieht auch die Hochschulen in der Hauptstadt), ist das, dass die russischen Dozenten schlecht bezahlt werden.


G: Wie finden Sie das Bildungsniveau der russischen Studenten?

Doris: Es ist überall sehr unterschiedlich. Es gibt Studenten, die einen guten, breiten Interessenkreis haben und es gibt die, die lieber mit den Freunden feiern wollen.


G: Und wie schätzen Sie ihre Deutschkenntnisse ein?

Doris: Ich muss gestehen, manchmal war ich sogar etwas entsetzt. Allerseits hat man Deutsch seit der 5. Klasse gelernt, jetzt sind meine Studenten im 2. Studienjahr. Mehrere sind in der Lage, nur einfache Sätze zu bilden. Da entsteht die Frage: Was hatten sie all diese Jahre gemacht? Was passiert in der Schule?
 

G: Was meinen Sie, womit ist es zu erklären?

Doris: Ich vermute sehr stark, dass es an der Methodik liegt. Ich habe mich russische Lehrbücher angeschaut: hier wird immer noch nach der Grammatik-Übersetzensmethode gearbeitet, die bedeutet, man beschäftigt sich theoretisch mit der Grammatik, und man übersetzt aus der Fremdsprache in die Muttersprache. Das Verfahren ist hervorragend, wenn es darum geht, dass man am Ende Texte in der Fremdsprache lesen können möchte. Das erzielt katastrophale Resultate, wenn man am Ende die Fremdsprache tatsächlich selber aktiv benützen möchte, um zu sprechen und um zu schreiben. Vom Hörverstehen mal ganz zu schweigen.  Die deutsche Grammatik können die russischen Studenten, sehr gut sogar. Wenn man ihnen die Lückentexte gibt, wo sie die Kasusendungen einsetzen müssen, schaffen sie es sehr gut. Wenn sie lesen sollen, dann geht es auch. Es wird aber zu wenig Wert auf praktische Kommunikation gelegt, das ist ein großes Problem.

Natürlich muss man die Grundlagen der Grammatik kennen, die Theorie ist wichtig, besonders wenn man komplexere Sätze bauen will, aber wenn man im Alltag sprechen oder Leute kennenlernen möchte, dann ist es nicht so wichtig, auch in Konjunktiv Sätze bilden zu können.


G: Welche Ratschläge könnten Sie allen Sprachinteressenten geben, damit sie ihre Leistungen erzielen?

Doris: Erstens, jede Gelegenheit zum Sprechen ausnützen, im Unterricht und mit den Muttersprachlern sprechen. Man muss im Unterricht in Gruppen arbeiten. Ich habe das Gefühl, das wird immer noch wenig gemacht.

Man muss versuchen, auch Medien in Originalsprache zu besorgen. Filme auf Deutsch sehen, wenn man die kriegen kann, im Radio hören, wenn die Deutsche Welle ankommt.

Wenn man Literatur im Original liest, sollte man sehen, dass man Texte liest, die man versteht, ohne viel nachzuschlagen. Wenn der Text leicht ist, lese ich ihn nicht. Wenn der Text zu schwer ist, bin ich nur frustriert. Dann lege ich dieses Buch beiseite. Man muss beim Sprachlernen immer eine Balance finden zwischen Anforderung und Frustration. Ich muss sagen, Sprachlernen muss nicht nur Nutzen bringen, sondern auch Spass machen.

Von Sabina Churja

Youth |22.10.2008 | Views: 1747
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