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gaudeamus
Es wird zu wenig Wert auf praktische Kommunikation gelegt [0] - 05.07.2025
Zur DAAD-Lektorin:
Doris
Dold, Hochschullehrerin und DAAD-Lektorin aus Kiel, unterrichtet zur
Zeit an der Staatsuniversität Uljanowsk Deutsch. Sie ist Spezialistin
in Slawistik, beherrscht Russisch, Polnisch, sowie Englisch und
Französisch. Kennt sich im Bereich der west- und osteuropäischen
Kulturen aus, hat einen Zusatzstudiengang DaF (Deutsch als
Fremdsprache) absolviert, was sie jetzt dazu qualifiziert, für die
Ausländer Deutsch zu unterrichten.
Gaudeamus:
Seit wann bestehen die Beziehungen zwischen DAAD und Russland? Welche
Aufgaben erfüllt diese Organisation in unserem Land?
Doris: DAAD ist seit
DAAD
arbeitet nicht nur in Russland, sondern weltweit. Wir sind im Moment in
127 Staaten mit etwa 400 unseren Lektoren vertreten, und wir
beschäftigen uns mit dem wissenschaftlichen Austausch zwischen
deutschen und ausländischen Universitäten, d. h. DAAD fördert den
Austausch von Studenten und Wissenschaftlern. Der Schwerpunkt liegt
dabei vor allem auf dem Austausch von jungen Wissenschaftlern, also von
Leuten, die jetzt im Rahmen des Bologna-Umbauprozesses Bachelor gemacht
haben und ins Ausland gehen wollen, um dort einen Magisterkurs zu
belegen. Relativ viel tun wir auf dem Bereich Austausch von Aspiranten.
DAAD unterstützt auch bestehende Kontakte. Konkret gibt es viele
russische Wissenschaftler, die mit deutschen Partnern zusammenarbeiten,
aber ihnen fehlt an finanzielle Unterstützung. Das sind die Sachen, die
DAAD unterstützen kann.
G: Worauf ist Ihre persönliche Tätigkeit hier in Uljanowsk gezielt?
Doris: Ich gebe den deutschen Unterricht hier und mache Reklame für den DAAD.
G: Was können Sie jetzt über die russischen Studenten sagen?
Doris:
Die russischen Studenten sind insofern anders als die deutschen,
manchmal habe ich das Gefühl, sie wissen nicht, dass sie freiwillig
sind. Ich meine, russische Studenten gehen zur Uni, genauso wie sie
früher zur Schule gegangen sind. Sie empfinden es als eine von außen
aufgezwungene Pflicht.
Ich
z. B empfang mein Studium in Deutschland auch als Pflicht, ich fühlte
mich verpflichtet, zur Uni zu gehen, aber dabei wusste ich immer, dass
ich das Fach mir selber ausgesucht habe. Und alles, womit ich an der
Universität beschäftigt war, machte ich in erster Linie für mich selbst.
Die russischen Studenten denken aber, Sie würden dem Lehrer einen Gefallen tun, wenn sie etwas lernen. Natürlich ist es für einen guten Lehrer wichtig, wenn der Student etwas lernt. Aber im Grunde genommen, für den Lehrer ist letzen Endes vollkommen egal, ob die Lernenden etwas lernen oder nicht. Der Schüler, der nichts lernt, schadet nicht dem Lehrer, sondern sich selbst. Und ich habe das Gefühl, den russischen Studenten ist es gar nicht bewusst. Persönlich für mich ist es ungewohnt, dass ich mich immer bei den Studenten aufdrängen muss, damit sie die Aufgaben machen oder zum Unterricht kommen.
G: Welche Schwierigkeiten entstehen bei Ihnen beim Unterricht?
Doris: Als
ich zum ersten Mal hier vor meiner Gruppe gestanden hatte, ergriff den
Lesesaal ein großes Schweigen. Die Studenten guckten mich an mit großen
erschrocken Augen, sie hatten Angst, Deutsch zu sprechen. Es liegt
vielleicht daran, dass ich Muttersprachler bin, und ich höre alles, was
sie falsch machen. Aber in vier-fünf Wochen haben sich die Studenten an
mich gewöhnt und allmählich wird es besser.
G:
Doris, das Erlernen der deutschen Sprache ist in unserem Land schon
längst zu einer Tradition geworden. Und auf welche Weise wird das
Deutschlernen vom DAAD unterstützt?
Doris: In
erster Linie, durch das Lektorenprogramm, das dafür sorgt, dass die
deutschen Muttersprachler an russischen Universitäten unterrichten.
Daneben gibt es noch das Sprachassistentenprogramm, sowie verschiedene
Programme für die Studenten, wie Hochschulsommerkursen in Deutschland,
Semesterstipendien, Forschungsstipendien etc.
G: Wie weit ist die DAAD-Tätigkeit in der russischen Provinz vorangegangen?
Doris: Wir sind jetzt in den meisten russischen Universitäten stets vertreten, auch in solchen, die weit draußen sind, wie in Uljanowsk, und wir versuchen auch, im Umland auszustrahlen. Also, ich denke, dass wir in der Fläche des Landes wirklich gut vertreten sind.
G: Wie schätzen Sie jetzt das russische Bildungssystem ein? Unterscheidet es sich stark von dem in Deutschland?
Doris: Mir
fällt auf, dass das russische Hochschulbildungssystem stärker der
Schule ähnelt, als das System in Deutschland. Hier bekommen die
Studenten am Anfang des Studienjahres ihren fertigen Stundenplan, ohne
selbst die Disziplinen auszuwählen, und dann müssen sie nur den
Unterricht besuchen.
In
Deutschland sind die Studenten viel selbstständiger, sie suchen sich
die Fächer selber aus. Was ihnen nicht imponiert, können sie nicht
ablegen. Die Motivation der Studenten ist dadurch etwas höher und das
Studium macht mehr Spass.
Was ich am russischen System gut finde, ist, dass der Student, unabhängig davon, was er studiert, eine Fremdsprache belegen muss. Im Grundsatz finde ich das richtig, denn bei uns, wenn man Philologie nicht studiert, kann man nach der Schule Fremdsprachen freiwillig pflegen oder sie einfach vergessen. Ich denke aber, man muss mindestens eine Fremdsprache können, das ist wichtig für den beruflichen Erfolg und es macht das Leben interessanter und reicher.
G:
Und woran mangelt es in den russischen Hochschuleinrichtungen in der
Provinz? Im Vergleich zu Moskau, Sankt Petersburg oder anderen
Großstädten?
Doris: Objektiv kann ich das nicht einschätzen. Ich war in den Universitäten der Großstädte bis heute nur zu Gast. Ich habe aber gar keinen Eindruck, dass die russischen Hochschulen in der Provinz eine mangelhafte Einrichtung sind. Hier wird eine gute Arbeit geleistet. Das Einzige, was mir leid tut (aber das bezieht auch die Hochschulen in der Hauptstadt), ist das, dass die russischen Dozenten schlecht bezahlt werden.
G: Wie finden Sie das Bildungsniveau der russischen Studenten?
Doris: Es ist überall sehr unterschiedlich. Es gibt Studenten, die einen guten, breiten Interessenkreis haben und es gibt die, die lieber mit den Freunden feiern wollen.
G: Und wie schätzen Sie ihre Deutschkenntnisse ein?
Doris:
Ich muss gestehen, manchmal war ich sogar etwas entsetzt. Allerseits
hat man Deutsch seit der 5. Klasse gelernt, jetzt sind meine Studenten
im 2. Studienjahr. Mehrere sind in der Lage, nur einfache Sätze zu
bilden. Da entsteht die Frage: Was hatten sie all diese Jahre gemacht?
Was passiert in der Schule?
G: Was meinen Sie, womit ist es zu erklären?
Doris:
Ich vermute sehr stark, dass es an der Methodik liegt. Ich habe mich
russische Lehrbücher angeschaut: hier wird immer noch nach der
Grammatik-Übersetzensmethode gearbeitet, die bedeutet, man beschäftigt
sich theoretisch mit der Grammatik, und man übersetzt aus der
Fremdsprache in die Muttersprache. Das Verfahren ist hervorragend, wenn
es darum geht, dass man am Ende Texte in der Fremdsprache lesen können
möchte. Das erzielt katastrophale Resultate, wenn man am Ende die
Fremdsprache tatsächlich selber aktiv benützen möchte, um zu sprechen
und um zu schreiben. Vom Hörverstehen mal ganz zu schweigen. Die
deutsche Grammatik können die russischen Studenten, sehr gut sogar.
Wenn man ihnen die Lückentexte gibt, wo sie die Kasusendungen einsetzen
müssen, schaffen sie es sehr gut. Wenn sie lesen sollen, dann geht es
auch. Es wird aber zu wenig Wert auf praktische Kommunikation gelegt,
das ist ein großes Problem.
Natürlich muss man die Grundlagen der Grammatik kennen, die Theorie ist wichtig, besonders wenn man komplexere Sätze bauen will, aber wenn man im Alltag sprechen oder Leute kennenlernen möchte, dann ist es nicht so wichtig, auch in Konjunktiv Sätze bilden zu können.
G: Welche Ratschläge könnten Sie allen Sprachinteressenten geben, damit sie ihre Leistungen erzielen?
Doris:
Erstens, jede Gelegenheit zum Sprechen ausnützen, im Unterricht und mit
den Muttersprachlern sprechen. Man muss im Unterricht in Gruppen
arbeiten. Ich habe das Gefühl, das wird immer noch wenig gemacht.
Man
muss versuchen, auch Medien in Originalsprache zu besorgen. Filme auf
Deutsch sehen, wenn man die kriegen kann, im Radio hören, wenn die
Deutsche Welle ankommt.
Wenn
man Literatur im Original liest, sollte man sehen, dass man Texte
liest, die man versteht, ohne viel nachzuschlagen. Wenn der Text leicht
ist, lese ich ihn nicht. Wenn der Text zu schwer ist, bin ich nur
frustriert. Dann lege ich dieses Buch beiseite. Man muss beim
Sprachlernen immer eine Balance finden zwischen Anforderung und
Frustration. Ich muss sagen, Sprachlernen muss nicht nur Nutzen
bringen, sondern auch Spass machen.
Von Sabina Churja
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