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Klaus Schilbach

Neues Russland? –Neue Grundlagen für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit [0] - 22.01.2025

Liebe Gaudeamus-Leser,

Am 13.02.2009 fand im Auswaertigen Amt eine Tagung zum Thema Staedtepartnerschaften mit russischen Staedten. An der Veranstaltung nahmen Schriftfuehrer der langjaehrigen Partnerorganisation von Uljanowsk, der Deutsch-Russischen Gesellschaft e. V., Beauftragter fuer Oeffentlichkeitsarbeit der Baptistengemeinde EFG Krefeld, Herr Klaus Schilbach, und seine Frau Inge teil.

Seine Eindruecke von diesem Treffen hat Herr Schilbach in einer Auswertung zusammengefasst. Heute publiziert Gaudeamus auf die liebenswuerdige Erlaubnis des Autors diesen Text, der aufrichtig den aktuellen Stand zwischengesellschaftlicher deutsch-russischer Beziehungen dokumentiert. Wir freuen uns sehr auf die Moeglichkeit, die Meinung von Herrn Schilbach im Wortlaut zu veroeffentlichen, und moechten damit dem guten deutschen Prinzip treu bleiben: eine Zensur findet nicht statt.

Sergej Tschurkin

Auswertung der Tagung vom 13.2.09 im AA Berlin für Städtepartnerschaften mit russ. Städten

Thema: „Neues Russland? –Neue Grundlagen für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit“

A Die Tagung wurde besucht von ca.180 Vertretern aus deutschen Städten, die Partnerschaften mit russischen Städten pflegen, von Vertretern aus Stiftungen und Geschäftsführern von öffentlichen Gesellschaften und Foren. Die überwiegende Mehrzahl der Besucher waren Beauftragte aus Stadtverwaltungen und Vereinen oder Initiativen, die von ihren Städten unterstützt und ausgesandt waren und entsprechendes – zum Teil sogar in Hochdruck gefertigtes – Informationsmaterial vorlegen konnten. Ein völliges Novum war es für sie, dass es in Krefeld nichts dergleichen gibt!

B Es war erfrischend, dass alle hochkompetenten Sprecher - bis auf den Vertreter der Adenauer-Stiftung – schonungslos die höchst problematische Realität der zivilgesellschaftlichen, zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen der Städtepartnerschaften zwischen deutschen und russischen Initiativen in den Städten herausstellten.

1. Dr.Andreas Schockenhoff MdB, Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, stellte heraus wie das neue NGO-Gesetz durch seine Kontroll- und Zensierungs-Vorschriften ein Klima des geschürten Misstrauens schafft. Offensichtlich setzt die russische Regierung auf verstärkte Kontrolle aller zivilgesellschaftlichen Initiativen, bis hin zu Plänen einer neuen Spionage-Verfolgung. Seit den Tschetschenien Kriegen wächst das antiwestliche Denken. Die alte Losung von der Großmacht, die von lauter Feinden umgeben ist, macht sich wieder breit. Erfreulich aber sei, wie sich heute private NGO’s erstaunlich vital innerhalb der Städtepartnerschaften bewegten. Er erhofft sich durch solche Tagungen wie die Berliner im AA eine Vernetzung der Initiativen und Vereine durch Kontaktlisten.

2. Prof.Lew Gudkow, Direktor des renommierten Meinungsforschungsinstituts Lewada in Moskau, nahm zur „Aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklung in Russland“ Stellung. Anhand reichen statistischen Materials aus repräsentativen Umfragen erläuterte er die Entwicklung seit den 90er Jahren. Deutlich wies er auf die erschreckende Entwicklung des öffentlichen Bewusstseins seit den Tschetschenienkriegen bis hin zum Georgischen Konflikt unter Einfluss einer sich steigernden Propagandaflut hin. Sahen sich in den 90er Jahren die Menschen in Russland mehrheitlich dem Westen zugewandt, so änderte sich dies seit 2003 radikal: seitdem verstehen 76% der Leute (2008 – 75%) ihr Russland nicht mehr als ein nach Westen ausgerichtetes Land, sondern als Eurasischen Staat, der eigene Wege gehen muss, mit steigendem Misstrauen gegen die westliche Welt. Bejahten 1989 nur 13% der Befragten, dass Russland von Feinden umgeben sei, so waren es 2003 (1.Tschetschenienkrieg) 78% und 2008 - 68%. Durch die Propaganda und die Unterdrückung der oppositionellen Presse werden alte Klischees wieder wach.
Professor Gudkow erklärte, dass es ohne die Entwicklung einer Zivilgesellschaft in Russland keinen Fortschritt zu demokratischen Strukturen geben werde, die Spannungen werden eher steigen und eine Spaltung der Eliten hervorrufen.

3. Prof.E.Gontmacher, Moskau, Leiter des Zentrums für Sozialpolitik des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften und Vorstandsmitglied des Instituts für moderne Entwicklung zeichnete ein sehr düsteres Bild über den aktuellen Zustand der gesellschaftlichen, administrativen und politischen Lage in Russland. Die Zivilgesellschaft sei weitestgehend reduziert. Die örtlichen Behörden bremsen, wo immer sie können. In der Behindertenfrage, der Altenpflege, der Situation der Drogenprävention und der Gefangenenresozialisation gebe es vor allem strukturelle Hindernisse aus der orthodoxen Tradition. Es fehle jedes know how. Russland sieht er erneut am Wendepunkt. Nur die Entwicklung einer Zivilgesellschaft und die Zusammenarbeit mit westlichen Initiativgruppen verspreche Hilfe. Diese sei bitternötig angesichts einer rückständigen Wirtschaft. Seine Hoffnung läuft in Richtung auf Europa und Demokratie. Alle westliche NGO-Initativen ruft er auf, nach Möglichkeit, den Staat und seine Organe zu umgehen und nur direkte Kontakte zu pflegen und zu intensivieren.

4. Herr Stefan Melle, Geschäftsführer des Deutsch-Russischen Austausch e.V. spricht von einem sehr widersprüchlichen Entwicklungsstand russischer Politik und Gesellschaft. Besonders die missgünstige Arbeit der Behörden hemme jede positive Entwicklung. Dazu komme der restriktive juristische Rahmen in einer Kampfrolle zugunsten eines gelenkten Ordnungsstaates. Ein neues Hindernis sei die 24%ige Steuer auf alle Finanzhilfen! Er hofft auf Sponsoren und Stiftungen in Russland und Zusammenarbeit mit Staatsorganen.

C Präsentation von 5 innovativen Projekten im Rahmen von Städtepartnerschaften, Leitung Herr Martin Hoffmann, Geschäftsführer, Deutsch-Russisches Forum

Krefeld, den 28.2.2009 Klaus Schilbach

Society |28.02.2009 | Views: 1137
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