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Sergej Tschurkin

Aus Serbien nach Russland [2] - 22.01.2025

Dritter Teil
von Sergej Tschurkin

Das Thema Kosowo lernte unsere Journalistengruppe aus naechster Naehe kennen. Der letzte Punkt der Doenhoff-Recherchereise war das Treffen mit serbischen Fluechtlingen aus Obelic, einer Stadt im Zentralkosowo.
Wir kamen in einer Baracke, who mehrere Familien seit Jahren hausieren. Unsere neuen Bekannten Milic, Vater, Mutter und zwei Kinder wohnen da in zwei bescheiden eingerichteten Zimmern. Ihre Existenz ist wie bei ihren Leidensgenossen durch einen ungeklaerten rechtlichen Status gekennzeichnet: da Serbien die Unabhaenigkeit Kosows nicht anerkennt, will es auch seine aus der “Provinz” geflohene Buerger offiziell nicht als Fluechtlinge bezeichnen.

IDP (auf englisch: internal displaced persons) duerfen sich deswegen in Belgrad nicht registrieren, koennen keine legale Arbeit finden und im weiteren keinen Anspruch auf irgendwelche staatliche Leistungen haben. Als de facto Illegale bezahlen Milic auch Wasser, Strom und Fernwaerme nicht (wobei es mir sofort aufgefallen ist, dass ihre Zwei-Zimmer-Unterkunft deutlich besser als meine Einzimmerwohnung beheizt wird. Aufgemerkt: ich wohne in meiner Heimatstadt mitten im “oekonomisch stabilen und von der Weltfinanzkrise am wenigsten betroffenen” Russland).

Im Gespraech haben wir erlebt, mit welcher ruhigen Mut die Familie ihre Probleme und Schwierigkeiten ertraegt, einer Ruhe, die ich so oft in Russland sehe. Hilfe bekommt die Familie nur von der deutsch-serbischen Michael-Zikic-Stiftung, die sich im Bereich der bilateralen Bildungs- und Kulturkontakte engagiert. Die letzte Neuanschaffung der Familie war ein Computer, den Milic-Jr., Stipendiat der Stiftung, fuer seine guten Leistungen von der NGO geschenkt bekommen hatte.

Ein viel groesseres Geschenk fuer die Familie Milic und andere Fluechtlinge koennte natuerlich von der serbischen Regierung kommen. Und dies waere die Anerkennung der Gegebenheiten und Aktivitaeten zur Besserung der Lebensbedingungen der Betroffenen. Statt des rechtlichen Eiertanzes mit sich selbst muessten praktische politische und oekonomische Massnahmen getroffen werden – entweder zu einer regelrechten Integrierung der IDPs im serbischen Kernland, oder zu einem moeglichst komforten Warten auf eine, wenn auch in sehr fernen Zukunft, Rueckkehr nach Kosowo. Schliesslich streben sowohl Serbien als auch ihre Ex-Provinz eine EU-Mitgliedschaft an, in deren Gesetzen fuer alle Buerger unter anderem eine freie Wahl des Wohnortes verankert ist.

Freiheit bedeutet unglaublich viel, wenn auch die meisten meiner Landsleute es unterschaetzen. Es war fuer mich sehr angenehm, ohne Visum nach Serbien einreisen zu duerfen, und es war auch abgenehm, auf der Rueckreise problemlos alle Pass- und Zollkontrollen zu passieren. Wenn eines Tages Serbien der EU beitritt, wird sich das fuer russische Staatsbuerger aendern. Was wuerde dazu ein typischer russischer Patriot sagen? “Wir muessen den EU-Beitritt Serbiens mit allen Mitteln verhindern!” Mir waere da eine realistische Position lieber: Russland muesste seine Beziehungen mit Europa so gestalten, das dies zu mehr Reisefreiheit fuer alle fuehrt. Dies waere aber schon eine andere Geschichte…

Aus dieser Reise habe ich folgende Schlussfolgerungen gemacht, die ich an die Gaudeamus-Leser, besonders an unsere deutschkundigen Studenten, transportieren moechte:
die aktuelle politische, oekonomische Situation in Serbien unterscheidet sich definitiv von der Darstellung russischer Medien. Ich wuerde es allen fuer das Thema Interessierten empfehlen, sich darueber nach Moeglichkeit aus unabhaengigen Quellen zu informieren – und am besten vor Ort!
alle Serben, die ich auf der Recherchereise kennengelernt habe, haben Kosowo bereits aufgegeben, auch wenn sie es laut nicht gestehen wollen. In bezug darauf klingt besonders aktuell eines der wenigen pragmatischen Statements des russischen Aussenministers Sergej Lawrow: “Wir koennen nicht groessere Serben als Serben selbst sein.”

Europa (und im besonderen Deutschland) engagiert sich auf politischer, oekonomischer und kultureller Ebenen in Serbien (sowie in allen Nachbarlaendern, Kosowo inklusiv), deutlich mehr als “der grosse orthodoxe Bruder” Russland. Das wird sich zweifellos in absehbarer Zukunft in einen groesseren (verglichen mit dem des “Bruderlandes”) Einfluss resultieren.

das Russland- und Russenbild der Serben bleibt nach wie vor positiv – russische Oligarchen und Staatsmonopolien sind aber gut dabei, es zu verderben. Serbisch-russische Partnerschaftsbeziehungen beduerfen schon laengst einer Anpassung an Realitaeten, eines Verzichtes auf ihren militanten antiwestlichen Charakter – dafuer sehe ich leider vorerst keine Perspektive.

Dies waeren meine Eindruecke von der Journalistenreise nach Serbien. Ich wuerde mich freuen, wenn Gaudeamus-Leser ihre Meinung zum Geschriebenen aeussern wuerden.

Society |05.01.2009 | Views: 1236
Total comments: 2
0  
1 oleg.prokh   (12.01.2009 13:58) [Материал]
Schade, dass es keine Bilder dabei sind - waere nuetzlich fuer das volle Bild

0  
2 Elena Albutova   (16.01.2009 22:35) [Материал]
Oleg, es gibt Bilder nur im ersten Teil. Es waere natuerlich viel besser, einwenig mehr visuell zu beobachten.

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